Ist Selbst-Liebe egoistisch?

Menschen, die für sich selbst sorgen können, wird gern vorgeworfen, dass sie egoistisch seien. Mal abgesehen davon, dass jeder Vorwurf, den ich anderen mache, mehr über mich aussagt als über andere: Kann es selbstlose Liebe für einen anderen Menschen überhaupt geben? Und wo fängt es an ungesund zu werden?

Viele Wissenschaftler glauben, dass kleine Kinder vollständig auf die Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse wie Hunger, Durst und den Wunsch nach körperlichem Wohlbefinden ausgerichtet sind. Aber sie machen das nicht, um anderen zu schaden. Ohne einen extremen Drang, alles zu bekommen, was sie zum Überleben brauchen, würden sie die ersten Monate nach der Geburt gar nicht überleben. Erst im Laufe der ersten Jahre entwickelt sich ein Bewusstsein für das eigne Selbst.

Kinder wollen ihre Eltern glücklich machen

Wenn ihr wüsstet wie ich euch liebeDoch die Erfahrungen mit Familienaufstellungen zeigen einen anderen Aspekt auf. In dem Buch Wenn ihr wüsstet, wie ich euch liebe. berichtet Jirina Prekop davon, dass Kinder von dem tiefen Wunsch beseelt sind, ihre Eltern glücklich zu machen. Nicht selten so sehr, dass sie sich damit übernehmen. Sie nehmen eine Last auf sich, die sich nicht schultern können. Niemandem kann man deshalb einen Vorwurf machen. Sie haben sich aus Liebe so verhalten.

Wir haben das Beste gemacht, was uns zu dem jeweiligen Zeitpunkt möglich war. Es macht keinen Sinn, sich für die bewussten oder unbewussten Entscheidungen der Vergangenheit zu verurteilen. Fehler sind nicht zu vermeiden. Also Aufstehen, Krönchen richten und weitergehen.

Von außen kann man nicht erkennen, was der Sinn von selbst-schädigendem Verhalten ist

Vieles ist nicht so wie es scheint. Manche Verhaltensweisen sind unverständlich, wenn wir die tieferen Motive eines Menschen nicht kennen.
Für viele ist es unverständlich, wenn eine Frau sich über Jahre immer wieder von ihrem Mann misshandeln lässt, ohne sich von ihm zu trennen. Robert Schwartz berichtet in dem Buch “Jede Seele plant ihren Weg” wie eine Frau über 12 Jahre lang bei ihrem Ehemann bleibt, obwohl er sie in Abständen von einigen Wochen immer wieder verprügelt. Danach bereut er, was er getan hat. Sie verzeiht ihm und dann kommt es wieder zu einem Ausbruch von Aggressionen. Sie erträgt alles klaglos. Doch im Laufe der Zeit entwickelte sie Ängste. Um mit diesen Ängsten besser umgehen zu können, fängt sie eine Therapie an.

Der lange Weg aus der Co-Abhängigkeit

Stiefmütterchen: Ist Selbstliebe egostisch?Am Ende der Therapie erkannte sie, dass er sie besser behandeln müsste. Und sie begann sich zu wehren. Sie trennte sich von ihm und wurde eine erfolgreiche Therapeutin, die anderen Frauen helfen konnte, aus emotionaler Abhängigkeit herauszukommen. Robert Schwartz arbeitet in seinem Buch heraus, warum man von außen nicht verstehen kann, wie jemand so lange Zeit freiwillig in unwürdigen und unmenschlichen Umständen ausharrt. Aus seiner Erfahrung ist es kein Zufall, dass jemand so wenig gesunden Egoismus an den Tag legt. Tief in dieser Frau war der Wunsch, selbstlose Liebe zu leben. Sie wollte den Mann, der ein massives Aggressionsproblem hatte, allein durch ihre Liebe heilen. Erst auf eine sehr schmerzhafte Weise kam sie zu der Erkenntnis, dass selbstlose Liebe nicht ohne Selbstliebe möglich ist: Sie war in die Falle der Co-Abhängigkeit geraten.

Lieben heißt anerkennen, was ist

Schon bei der Hochzeit hatte ein Freund bemerkt, als ihr Ärmel durch einen Windstoß hochwehte, dass sie blaue Flecke auf dem Arm hatte. Als er sie fragte, ob die blauen Flecken von ihrem Bräutigam stammten, leugnete sie es. Sie wollte ihn durch ihre Lüge schützen. Doch der Freund glaubte ihr nicht und warnte sie: “Du darfst dir das nicht gefallen lassen!” Die Realität zu leugnen oder sich schön zu reden: Das ist das Verhängnis von Frauen, die zu sehr lieben. Mit einem Alkoholiker verheiratete Frauen beschönigen mit Worten wie “Die ein, zwei Gläschen am Abend” die Tatsache, dass ihre Männer bereits auf einem abschüssigen Weg sind. Durch ihre Hilfsbereitschaft vertuschen sie die sich häufende Fehlleistungen des Partners. Sie tun alles, dass er sein Leben weiterführen kann, als ob alles in Ordnung wäre.

Das Gleiche passiert, wenn eine co-abhängige Frau die Aggressivität des Mannes erträgt. Statt ihn vor die Wahl zu stellen: “Entweder Du machst jetzt ein Anti-Aggressions-Training oder ich gehe!” erduldet sie Erniedrigungen und Misshandlungen, bis es nicht mehr geht. Liebe ohne Selbst-Liebe bringt in einer Bezeihung nicht das Beste, sondern das Schlimmste zu Tage. Das zu ändern ist nicht leicht. Denn tiefsitzende Glaubenssätze und festverwurzelte Gewohnheiten stehen dem im Wege.

Die Sucht, gebraucht zu werden

Doch der erste Schritt ist, sich einzugestehen, dass man ko-abhängig ist: Man hat Angst, dem Partner Grenzen zu setzen und zieht einen ungesunden Gewinn aus einer misslichen Lage. Ohne das Support-System der Co-Abhängigen kann der Süchtige (oder der Aggressive) nicht leben. Die übrige soziale Umwelt würde ihm sehr schnell Grenzen aufzeigen. Nur durch Vertuschungen und Beschönigungen bleibt das destruktive System aufrecht. Es würde sofort wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, wenn die Co-Abhängige nicht so große Anstrengungen unternehmen würde, um die Fassade aufrecht zu halten. Der ungesunde Gewinn ist ihr meist nicht voll bewusst. Er kann in dem Gefühl bestehen, gebraucht zu werden. Oder in einem idealisierten Selbstbild: “Ich bin besser als andere, weil ich selbstlos liebe und selbst Ungerechtigkeiten ertrage.”

Zu erkennen, dass man möglicherweise co-abhängig ist, kann schwierig sein, denn Co-Abhängigkeit wird oft in der frühen Kindheit erlernt. Sie wurde oft vom sozialen Umfeld bestätigt und verstärkt. Sie kann zu einem tief verwurzelten Verhaltensmuster werden. Es kann schwer sein, sie wahrzunehmen und anzuerkennen, weil sie sich oft als Fürsorge und Sorge für andere tarnt. Es oft gar nicht so einfach, zwischen gesunden und ungesunden Formen der Fürsorge und Sorge zu unterscheiden.

Außerdem kann Co-Abhängigkeit schwer zu erkennen sein, weil sie eng mit dem Selbstwertgefühl und der eigenen Identität verbunden sein kann. Diejenigen, die co-abhängig sind, bekommen oft nicht mit, dass sie es sind. Nicht zuletzt, weil sie vielleicht glauben, dass sie in der jetzigen Beziehung bleiben müssen, um glücklich oder erfüllt zu sein. Es kann ihnen auch schwerfallen, Grenzen zu setzen, und sie bringen es nicht über sich, anderen gegenüber “Nein” zu sagen.

Das Schweigen der anderen

Ein weiterer Grund, warum es schwierig ist, zu erkennen, dass man co-abhängig ist, ist, dass die Menschen um einen herum sich des Problems oft nicht bewusst sind. Oder sie sind nicht bereit, es anzusprechen. Das kann es fast unmöglich machen, das Problem zu erkennen. Und deshalb bekommen Co-Abhängige oft nicht die Unterstützung, die sie brauchen, um ihre Verhaltensmuster zu ändern.

Die Erkenntnis, dass jemand möglicherweise co-abhängig sind, ist ein schwieriger, aber wichtiger Schritt auf dem Weg zu Heilung und Wachstum. Es ist für einen Co-Abhängigen wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, z. B. in Form einer Therapie oder Beratung, um die zugrundeliegenden Probleme zu klären und gesündere Formen des Umgangs mit anderen zu entwickeln.

Selbstlose Liebe erfordert gesunde Selbst-Liebe

Liebe kann man nicht schenken: Ein erfülltes Herz läuft über. Lieben ist kein Machen, sondern ein SeinViele tiefe Wahrheiten sind paradox: Wer das Leben verliert, der gewinnt es. Eine tiefere psychologische Einsicht ist nicht weit von der spirituellen Einsicht entfernt: Indem man sich um andere kümmert, indem man ihnen hilft, werden die eigenen Bedürfnisse befriedigt. Indem man das gibt, wozu man spezifisch qualifiziert ist, schafft man einen Nutzen für andere. In dem man die Probleme anderer löst, die man besser lösen kann als jeder andere, gewinnt man die Unterstützug der anderer. Und damit erwirbt man sich den Respekt und die Liebe der anderen. So kommt letztlich mehr zum Geber zurück als das, was er gegeben hat. Liebe ist das Einzige, was durch Teilen mehr wird.

Dennoch ist das Gleichgewicht entscheidend: Zu viel von etwas Guten wird zum Gift. Das Dilemma des Helfers ist: Wenn man sich nicht um sich selbst kümmert, wird die Fähigkeit zu helfen abnehmen. Eine Hand für sich selbst und eine Hand für das Schiff. Es ist nichts gewonnen, wenn ein Mitglied der Besatzung über Bord geht, während es dem Schiff (oder der Gemeinschaft) dient.

Selbst-Liebe ist nicht egoistisch

Die Definition von Egoismus ist: Ich verfolge meine Interessen rücksichtslos, selbst wenn es anderen schadet. Der eigene Vorteil ist wichtiger als alles andere. Selbst-Liebe dagegen ist notwendig, weil es Individuen erlaubt, den Anderen Grenzen zu setzen und für sich selbst zu sorgen. Ohne Selbst-Liebe gibt es keine gesunden Beziehungen. Wenn man sich selbst nicht genügend liebt, dann stellt man die Bedürfnisse der anderen über die eigenen Bedürfnisse.  Ohne Selbst-Liebe wächst im Untergrund das Gefühl, unfair behandelt zu werden. Es besteht die Gefahr des Burnouts. Liebe schenken ist nicht etwas, das man machen kann.

Liebe ist die natürliche Ausstrahlung eines gesunden, erfüllten Herzens. Liebe fließt über, wenn das Herz voll ist. In letzter Konsequenz ist Liebe die Folge von einem erfüllten Herzen, was mit einem Gefühl von Liebe verbunden ist. Nur wer etwas hat, kann etwas geben. Ohne Selbst-Liebe ist keine Freude da – und auch keine Fähigkeit, irgendetwas oder irgendjemanden zu lieben.

Angst davor, egoistisch zu sein

Manche Menschen haben Angst davor egoistisch zu sein. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich.

  • Angst vor Ablehnung: Manchmal kann die Angst vor Ablehnung von anderen dazu führen, dass man sich selbst als egoistisch empfindet.
  • Negatives Selbstbild: Wenn man eine negative Vorstellung von sich selbst hat, kann man sich oft als egoistisch empfinden, selbst wenn man fürsorglich, hilfsbereit und empathisch ist.
  • Übermäßige Selbstkritik: Übermäßige Selbstkritik kann dazu führen, dass man sich selbst als egoistisch empfindet, auch wenn man sich bemüht, anderen zu helfen.
  • Soziale Normen und Werte: In einigen Familien gibt es soziale Normen und Werte, die uns sagen, dass es egoistisch ist, an sich selbst zu denken und dass man immer anderen zuerst helfen sollte. Wenn man sich an diese Normen hält, kann man Angst haben, egoistisch zu sein.

Wie immer im Leben gilt es das richtige Maß zu finden. Eine gesunde Balance zwischen der Verfolgung eigener Interessen und der Anerkennung der Bedürfnisse und Interessen der anderen sollte angestrebt werden. Egoismus und Altruismus erscheinen als Gegensätze. Aber es gibt oft die Chance für eine Win-Win-Situation. Das erfordert allerdings Kreativität.

Definition von gesunder Selbst-Liebe

Mitgefühl für andere - und für sich selbstGesunde Selbstliebe ist die Fähigkeit, eine positive und gesunde Beziehung zu sich selbst zu haben. Sie ist gekennzeichnet durch ein Gefühl der Selbstakzeptanz, des Mitgefühls für sich selbst und der Selbstfürsorge.

Selbstakzeptanz bezieht sich auf die Fähigkeit, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist, einschließlich seiner Stärken und Schwächen. Das bedeutet, dass man sich selbst nicht verurteilt und ein Gefühl für den eigenen Wert und Selbstwert hat.

Selbstmitgefühl bezieht sich auf die Fähigkeit, sich selbst gegenüber freundlich und verständnisvoll zu sein, insbesondere in schwierigen Zeiten. Es ist die Fähigkeit, sich selbst gegenüber so mitfühlend zu sein, wie man einem Freund oder einem geliebten Menschen gegenüber mitfühlend sein würde.

Selbstfürsorge bezieht sich auf die Fähigkeit, sich auf ausgewogene und ganzheitliche Weise um sich selbst zu kümmern. Dazu gehört das körperliche, emotionale und geistige Wohlbefinden. Dazu gehört auch, dass man sich um sich selbst kümmert, wenn es um persönliches Wachstum und Selbstverbesserung geht.

Gesunde Selbstliebe bedeutet, dass man lernt, sich selbst der beste Freund zu sein: Freundlich zu sich selbst zu sein, Geduld mit sich selbst zu haben und ehrlich zu sich selbst zu sein. Es geht darum, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist, und mit dem zufrieden zu sein, was man ist – während man gleichzeitig danach strebt, sich zu verbessern und zu wachsen. Es geht darum, ein positives Selbstbild und Selbstvertrauen zu haben, aber nicht auf Kosten anderer, und kein aufgeblasenes Selbstbild zu haben.

Gesunde Selbstliebe ist die Kraft, eine wertschätzende und gesunde Beziehung zu sich selbst aufzubauen. Gesunde Selbstliebe ist die Fähigkeit, einen positiven und gesunden Umgang mit sich selbst zu haben.

Warum ist es so schwierig die Fähigkeit zu gesunder Selbst-Liebe zu entwickeln?

Die Fähigkeit zu gesunder Selbstliebe kann aus einer Vielzahl von Gründen schwer zu erlangen sein. Einige der Hauptgründe sind:

Frühere Erfahrungen: Traumata, Missbrauch oder Vernachlässigung in der Kindheit können zu einem Mangel an Selbstwertgefühl und Selbstachtung führen. Dadurch wird es schwer, eine gesunde Beziehung zu sich selbst aufzubauen.

Gesellschaftlicher Druck: Die Gesellschaft legt oft großen Wert auf externe Bestätigung und Perfektionismus, was es schwierig machen kann, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist.

Negative Selbstgespräche: Menschen können negative Botschaften oder Überzeugungen über sich selbst verinnerlicht haben, was es schwierig machen kann, positive Gefühle für sich selbst zu entwickeln.

Angst vor Versagen: Menschen können Angst haben, zu versagen oder Fehler zu machen. Das kann es schwierig machen, Risiken einzugehen und neue Dinge auszuprobieren, was ein wichtiger Teil der Selbstentwicklung und Selbstverbesserung ist.

Schwierigkeiten beim Setzen von Grenzen: Vielen Menschen fällt es schwer, Grenzen zu setzen und anderen gegenüber Nein zu sagen, was dazu führen kann, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu Gunsten anderer vernachlässigen.

Furcht vor Veränderungen: Menschen haben möglicherweise Angst vor Veränderungen. Sie fühlen sich in vertrauten Mustern wohl. Deshalb vermeiden sie es, selbst kleinste Schritte zu unternehmen, um sich selbst und ihr Selbstwertgefühl zu verbessern.

Es ist wichtig zu wissen, dass das Entstehen einer gesunde Selbstliebe ein Prozess ist, der Zeit und Mühe erfordert, aber mit Hilfe einer Feinstofftherapie ist es möglich, diese Herausforderungen zu bewältigen und eine gesunde Beziehung zu sich selbst zu entwickeln.